
Interdisziplinäre und kollaborative Lösungsentwicklung im IIoT
Ein Ansatz zur Erstellung neuer Industrial-Internet-of-Things- Lösungen in innovativen Partnerschaften
Die digitale Transformation eröffnet neue Potenziale für Unternehmen. Zur Erschließung dieser ist die Kooperation mit neuen Wertschöpfungspartnern erforderlich. Technische Grundlage der Wertschöpfung ist das Industrial Internet of Things (IIoT). Im Beitrag werden Micro Testbeds vorgestellt, in denen KMU im Verbund Lösungen erarbeiten und eine vertrauensvolle Basis für die Zusammenarbeit schaffen.
Die digitale Transformation führt zu einem Wandel betrieblicher Wertschöpfungsstrukturen hin zu horizontalen, offenen Netzwerken. Im Gegensatz zu den etablierten vertikalen und geschlossenen Strukturen sind diese dadurch gekennzeichnet, dass deutlich mehr und auch andere Partner als bisher an der Wertschöpfung beteiligt sind. Die Wertschöpfung basiert dabei zunehmend auf Kombinationen aus vernetzten Produkten und internet-basierten Dienstleistungen, die als sogenannte Produkt-Service-Systeme angeboten werden [1]. Eine der maßgeblichen technischen Grundlagen dafür ist das Industrial Internet of Things (IIoT), das die Kommunikation von Maschinen, Menschen und Recheneinheiten für den industriellen Einsatz ermöglicht [2].
Herausforderungen für Unternehmen
IIoT-Lösungen weisen eine nicht zu unterschätzende Komplexität auf, da sie aus mehreren Komponenten (z. B. Plattform, Edge Gateway, Devices, Sensorik) bestehen und ihre Entwicklung die Beteiligung mehrerer Disziplinen erfordert [3]. Lösungen, die industriell eingesetzt werden sollen, benötigen ein gewisses Maß an Zuverlässigkeit und Sicherheit, da ein Ausfall oder Missbrauch wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen könnte. Um das zur Entwicklung und zum Betrieb stabiler IIoT-Lösungen erforderliche Spezialwissen zu erlangen, sind Kooperationen mit Partnern notwendig. Dies kann in Form von offenen Netzwerken in Ökosystemen unter Beteiligung mehrerer Branchen geschehen [6].
Das Industrial Internet Consortium (IIC) geht davon aus, dass es derzeit kein Unternehmen gibt, das alle erforderlichen Bestandteile einer IIoT-Lösung aus einer Hand anbieten kann [4].
Die Problematik lässt sich am Beispiel der (Produkt-)Sicherheit illustrieren. Sicherheit ist auf vielen Ebenen von Bedeutung, um zuverlässige, verfügbare und vertrauenswürdige IIoT-Lösungen anbieten zu können [5]:
- Die einzelnen Komponenten der Lösung selbst dürfen möglichst wenige Möglichkeiten für Angriffe durch Dritte (z. B. Hacker) eröffnen.
- Zudem sollten die Daten verschlüsselt übertragen werden, um eine korrekte Kommunikation zu ermöglichen.
- Für einen geregelten Datenzugriff sind Maßnahmen zur Authentifizierung zu implementieren, um Datenmissbrauch zu verhindern.
Folglich kann Sicherheit nur im Zusammenspiel aller Komponenten und damit aller beteiligten Partner (Zulieferer, Softwarehäuser, zusätzliche Dienstleister, usw.) und Kunden gewährleistet werden. Dabei zeigt sich, dass neben den technischen Herausforderungen zunächst die produktive und langfristige Zusammenarbeit zwischen Unternehmen sicherzustellen ist.
Somit stehen Unternehmen aktuell vor der Herausforderung, geeignete, teilweise hochspezialisierte, Partner finden zu müssen, um die erforderlichen Kompetenzen zu erlangen und in die bestehenden Wertschöpfungsstrukturen zu integrieren. Dies stellt hohe Anforderungen an den Austausch und die Qualität der Zusammenarbeit mit den Partnerunternehmen. Letztendlich gilt es, mit den neuen Partnern ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, um organisatorische und kulturelle Hürden für eine anschließende Kooperation abzubauen.
Lösungsansatz: Micro Testbeds
Um erste Erfahrung in einem Netzwerk aus zunächst unbekannten Partnern zu sammeln, bieten sich sogenannte Micro Testbeds an
(Bild 1). In diesen sollen Prototypen für IIoT-Lösungen in einem möglichst kurzen Zeitraum unter Beteiligung mehrerer Unternehmen aus verschiedenen Branchen entwickelt werden.

Performance Management Protocol
Der Micro-Testbed-Ansatz basiert auf den Testbeds des Industrial Internet Consortiums [4]. Ziel der IIC-Testbeds ist es vor allem, neue Technologien oder eine neuartige Kombination von Technologien im Einsatz zu erproben. An den IIC-Testbeds sind meist große, internationale Unternehmen beteiligt und sie adressieren tendenziell breite Themenstellungen, die für viele Branchenvertreter relevant sind.
Um die Möglichkeiten eines Testbeds auch den für Deutschland typischen kleinen und mittelständischen Unternehmen zugänglich zu machen, wurde der Testbed-Ansatz des IIC zum Micro-Testbed-Ansatz abgewandelt. Der Fokus bei den Micro Testbeds liegt auf der Umsetzung kleiner Anwendungsszenarien mit bislang unbekannten Partnern. In jedem Micro Testbed arbeiten Unternehmen aus verschiedenen Branchen gemeinsam an einer IIoT-Lösung. Sie sind in der Regel auf die Dauer eines Jahres begrenzt. In diesem Zeitraum soll eine erste Version der Lösung umgesetzt werden. Eine wissenschaftliche Begleitung durch Forschungseinrichtungen ist vorgesehen. Diese dient der Erarbeitung und dem Transfer von Best Practices, mit deren Hilfe die beteiligten Unternehmen von der Erfahrung der vorangegangen Testbeds profitieren.
Die resultierenden Vorteile für die teilnehmenden Unternehmen sind, dass sie mit relativ geringem Ressourceneinsatz erste tragfähige IIoT-Lösungen erarbeiten können. Durch die Zusammenarbeit mit bislang unbekannten Partnern in einem Vertrauensraum werden Innovationen möglich, die durch branchenübergreifende und interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie dem Denken außerhalb etablierter Strukturen zustande kommen. Zusätzlich ermöglicht die kurze Laufzeit eine frühzeitige Abschätzung des Potenzials einer Innovation.
Erste Micro Testbeds in den Bereichen Handwerk und Dienstleistung wurden bereits erfolgreich abgeschlossen. Als Beispiel wird im Folgenden ein Micro Testbed zum Production Performance Management Protocol (PPMP) vorgestellt. PPMP ist ein standardisiertes Protokoll zur Kommunikation innerhalb und zwischen Unternehmen zum vereinfachten Datenaustausch [7].
Das Micro Testbed hatte eine Dauer von knapp über einem Jahr. An dem Testbed waren die Sensorhersteller Balluff GmbH und Sick AG sowie auf Anwenderseite die CADIS Engineering GmbH, Oxygen Technologies GmbH, KLW Lutz GmbH und Co. KG und die Maschinenbauer Rampf Machine Systems GmbH und Co. KG und Schmalz GmbH beteiligt. Die Moderation und Koordination erfolgte durch das Ferdinand-
Steinbeis-Institut, eine wissenschaftliche Begleitung durch den Lehrstuhl für ABWL und Wirtschaftsinformatik 1 der Universität Stuttgart.
Im Micro Testbed wurde nach der Ignite-Methode gearbeitet. Die Ignite-Methode beinhaltet unter anderem ein Vorgehensmodell zur strategiekonformen Entwicklung von IIoT-Lösungen. Sie versteht sich selbst als Best-Practice-Ansatz und basiert auf mehreren Projekten im Umfeld des Internet of Things, die zum Großteil unter der Leitung der Robert Bosch AG ausgeführt wurden [8]. Dazu wurde ein Experte für die Methode von Bosch Software Innovations involviert.
Von den beteiligten Unternehmen wurden im Micro Testbed Anwendungsszenarien für den offenen Industriestandard PPMP erarbeitet. Nach einer Sammlung und Identifikation möglicher Anwendungsszenarien wurden diese hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit im gegebenen Zeitrahmen und ihres erwarteten Mehrwerts von den Partnern priorisiert. Dadurch entstanden mehrere Anwendungsfälle in Produktion, Logistik und dem Energiebereich, die vom Einsatz des PPM-Protokolls profitieren.
Im Anschluss wurde eine erste IIoT-Lösung erarbeitet. Dabei handelt es sich um ein durch Sensorik und Kommunikationstechnik erweitertes ‚Maschinenbett‘ der Firma Rampf. Ein Maschinenbett ist der Rahmen und die Basis, in bzw. auf der eine Maschine montiert wird. Ein derart vernetztes Produkt bringt Vorteile bei Transport und Logistik, vor allem aber beim Einsatz in der Produktion des Kunden. So können der Transport, aber auch die laufende Produktion beispielsweise über Bewegungssensoren, die Schwingungen und Lageänderungen erkennen können, überwacht werden. Die Lösung wurde auf der Fachmesse „Bosch Connected World“ einem breiten Publikum vorgestellt und darauf aufbauend werden weitere Lösungen entwickelt.
Der Nutzen für den Hersteller des Maschinenbetts liegt darin, den Kunden einen zusätzlichen Dienst anbieten zu können, mit dem dieser seine Produktion besser überwachen kann. Der Kunde des Maschinenbetts kann über das PPMP die zusätzlichen Sensordaten einfach auswerten und für die Steuerung seiner Produktion verwenden. PPMP stellt hierbei eine Interoperabilität mit verschiedenen Herstellern her.
Aktuell werden von den Autoren weitere Micro Testbeds in den Bereichen Gastronomie, Großhandel und Produktion erarbeitet.
Ergebnisse aus den durchgeführten Micro Testbeds
Die bisherigen Erfahrungen aus den abgeschlossenen und laufenden Micro Testbeds zeigen, dass
- die technischen Herausforderungen beherrschbar sind. So konnten die beteiligten Unternehmen innerhalb eines halben Jahres nach Definition und Auswahl der Anwendungsfälle erste Prototypen bereitstellen.
- die interdisziplinäre und branchenübergreifende Zusammenarbeit einen kritischen Erfolgsfaktor darstellt, da sich die Unternehmen mit ihren Kompetenzen ergänzen.
- durch die vertrauensvolle Zusammenarbeit organisatorische und kulturelle Barrieren abgebaut werden können. Ein Vertrauensvorschuss ist auf die Vorauswahl der Partner im Micro Testbed zurückzuführen.
- ein deutlicher Zeitvorteil entsteht, da die Suche nach geeigneten Partnern entfällt.
- die wissenschaftliche Begleitung und die Vermittlung von Best Practices sowie Methodenwissen sich positiv auswirken, da es den beteiligten KMU häufig an einschlägiger Erfahrung fehlt. So können konkrete Hinweise zur technischen Lösung zur Kosten- und Aufwandsabschätzung sowie zur möglichen Rezeption am Markt erarbeitet und weitergegeben werden.
Der Micro-Testbed-Ansatz stößt bei den beteiligten Unternehmen insgesamt auf positive Resonanz, da sie sich auf die Entwicklung ihres Teils der Lösung fokussieren und bei Bedarf vertrauensvoll auf die Kompetenz der anderen Partner im jeweiligen Spezialgebiet zurückgreifen können.
Schlüsselwörter:
Industrial Internet of Things, Micro Testbeds, Digitale TransformationLiteratur:
[1] D. Morar and H.-G. Kemper, „Digitale Transformation: Informationsmanagement vor neuen Herausforderungen,“ Controlling, vol. 30, pp. 54-61, 2018.
[2] IIC, The Industrial Internet of Things Volume G8: Vocabulary: Industrial Internet Consortium, 2017.
[3] IIC, The Industrial Internet of Things Volume G1: Reference Architecture Industrial Internet Consortium, 2017.
[4] IIC, Why We Build Testbeds: First Results Industrial Internet Consortium, 2017.
[5] IIC, Industrial Internet of Things Volume G4: Security Framework: Industrial Internet Consortium, 2016.
[6] P. Weber, D. Morar, and H. Lasi, “Transforming Value Chains into Internet-based Ecosystems: A Testbed Approach,” presented at the PICMET ‘18 Conference, Honolulu, 2018.
[7] Ferdinand-Steinbeis-Institut, Micro Testbed: Wertschöpfung erfolgreich gestalten. Stuttgart, 2018.
[8] D. Slama, F. Puhlmann, J. Morrish, and R. Bhatnagar, Enterprise IoT: Strategies and Best Practices for Connected Products and Services. Sebastopol: O’Reilly Media, 2015.